Jews and Burghers in the Republic of Nobles

Jews and Burghers in the Republic of Nobles

Organisatoren
Deutsches Historisches Institut Warschau, Department of Jewish Studies an der Universität Haifa und Jüdisches Historisches Institut Warschau
Ort
Warschau
Land
Poland
Vom - Bis
29.09.2002 - 01.10.2002
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Von
Jürgen Heyde, Deutsches Historisches Institut Warschau

Eine gemeinsame Geschichte - getrennte Historiographien? Im Sinne des Diktums von Jakub Goldberg: "Es gibt keine polnische Geschichte ohne jüdische Geschichte und keine jüdische Geschichte ohne polnische Geschichte" hatten sich die Organisatoren der Konferenz, welche das Deutsche Historische Institut Warschau in Zusammenarbeit mit dem Department of Jewish Studies an der Universität Haifa und dem Jüdischen Historischen Institut Warschau veranstaltete, mit diesem Treffen zum Ziel gesetzt, den Dialog zwischen "jüdischer" und "allgemeiner" Geschichte zu fördern. Historikerinnen und Historiker aus Polen, Israel, den Vereinigten Staaten, der Ukraine und Deutschland - Fachleute für "bürgerliche" wie für "jüdische" Fragen kamen zusammen, um über Gemeinsames und Trennendes in der Geschichte beider Gruppen in der altpolnischen Gesellschaft zu diskutieren.

Der erste Nachmittag war dem Platz von Juden und Bürgern innerhalb der Gesellschaft der polnisch-litauischen Adelsrepublik gewidmet. Das "Shtetl" als Schauplatz polnisch-jüdischer Integration im 18. Jahrhundert untersuchte im Eröffnungsreferat Adam Teller (Haifa). In der kollektiven Erinnerung des jüdischen Volkes firmiert das "Shtetl", Teller zufolge, als ein spezifisch jüdischer Ort, in dem Kultur, Alltagsleben und Gesellschaftsstrukturen durch die jüdische Bevölkerungsmehrheit vorgegeben waren. Daneben war es Schauplatz intensiver Kontakte zwischen Juden und Nichtjuden. Teller versuchte in seinem Referat, Kriterien für eine Analyse des "Shtetl" als soziohistorisches Phänomen zu formulieren und die bislang vorherrschende kulturelle Konstruktion, in der die nichtjüdische Bevölkerung weitgehend unsichtbar gewesen sei, zu ergänzen.

Jadwiga Muszynska (Kielce) untersuchte am Beispiel der Wojewodschaft Sandomierz die rechtliche und wirtschaftliche Stellung von Bürgern und Juden in den königlichen Städten und Tafelgütern. Während die Juden in den eigentlichen Königsstädten nicht selten auf Behinderungen für Ansiedlung, Handel und Gewerbe trafen, so waren ihre Existenzbedingungen in den Städten, welche zum königlichen Tafelgut zählten, in der Regel deutlich besser. Hier ergaben sich durch eine Einbindung in die Gutswirtschaft der Tafelgüter noch zusätzliche Erwerbsmöglichkeiten.

Jacek Wijaczka (Kielce) widmete sich dem Verhältnis des polnischen Adels zu jüdischen und bürgerlichen Kaufleuten. In seinem Vortrag stellte er einige Widersprüchlichkeiten in der Haltung der Adeligen zu den Kaufleuten heraus; auf der einen Seite habe man ausländische Kaufleute favorisiert und damit den heimischen Markt geschwächt, auf der anderen Seiten war jeder adelige Stadtherr lebhaft daran interessiert, die Kaufleute aus den eigenen Städten zu stärken, da ihre Steuern und Abgaben ihm beträchtliche Einkünfte sicherten. Im Verhältnis zu jüdischen und christlichen Kaufleuten seien ebenfalls Widersprüche zu beobachten: allgemeinen Deklarationen (z.B. in Sejm-Resolutionen) über die Abwendung "unehrlicher" Konkurrenz durch jüdische Kaufleute stand eine deutliche Bevorzugung eben dieser jüdischen Kaufleute im Geschäftsleben gegenüber, da sie sich in der Regel mit geringeren Gewinnmargen begnügten und somit attraktivere Preise bieten konnten.

In einem öffentlichen Vortrag am Abend des ersten Tages arbeitete Jakub Goldberg (Jerusalem) Grundlinien in den Beziehungen zwischen Bürgern und Juden in der frühneuzeitlichen Adelsrepublik heraus. Er unterstrich, dass man bei der Betrachtung der gegenseitigen Beziehungen nicht mehr vornehmlich die Antagonismen zwischen beiden Gruppen betrachten solle, sondern verstärkt die Aufmerksamkeit auf Fragen der Interaktion und der strukturellen Analogien zwischen ihnen lenken solle. Besonders interessant sei in diesem Zusammenhang z.B. die Frage nach der Rolle der Juden als "Ersatzbürgertum" in den Kleinstädten im Osten und Südosten des polnisch-litauischen Doppelreiches.

Zu Beginn des zweiten Konferenztages stellte Elchanan Reiner (Tel Aviv) die Entwicklung der jüdischen Gemeinde vom "mittelalterlichen aschkenasischen" zum "neuzeitlichen polnischen" Typus vor. Durch die Publikation des Traktats "Torat ha-Hatat" von R. Moshe Isserles (1569) und der Antwort R. Bezalels von Friedberg darauf ("Vikuah Mayim Hayyim", 1575) entspann sich eine Diskussion um die Grundlagen des Selbstverständnisses der aschkenasischen Judenheit. Eine Interpretation beider Schriften als politische Texte erlaubt es, den Wandel zu einem neuen Typ von Gemeinde innerhalb der polnischen Judenheit im 16. Jahrhundert nachzuzeichnen.

Magdalena Teter (Connecticut) machte am Beispiel der Städte in Rotreußen und der Ukraine deutlich, wie sehr Juden und Bürger zwar einerseits auf ideologische Abgrenzung voneinander bedacht waren, andererseits im alltäglichen Kontakt zwischen den Gruppen immer wieder gesellschaftliche und religiöse Grenzen überwanden. Anna Michalowska (Warschau) gab in ihrem Referat einen Einblick in das Verhältnis zwischen Individuum und Gemeinde - die Bedeutung von Sozialkontrolle bzw. die Spielräume von Einzelpersonen innerhalb der jüdischen Gesellschaft. Adam Kazmierczyk (Krakau) präsentierte einige Aspekte aus seiner kürzlich erschienenen Habilitationsschrift und zeichnete die Rolle städtischer Gerichte für die jüdische Bevölkerung in Adelsstädten im 17. und 18. Jahrhundert nach.

Eine Reihe von Referaten war Lokalstudien gewidmet, welche die deutlichen Unterschiede in den gegenseitigen Beziehungen von Juden und Bürgern in verschiedenen Teilen der Adelsrepublik deutlich werden ließen. Edmund Kizik (Danzig) untersuchte die Politik des Danziger Bürgertums gegenüber den Juden, die als Kaufleute auf den Messen zu Besuch waren oder sich in adeligen und bischöflichen Besitzungen im Umland niedergelassen hatten. Jaroslaw Dumanowski (Thorn) stellte die Privatstadt Lubraniec als kujawisches "Shtetl" und Magnatensitz vor; Leszek Hondo (Krakau) ging auf die Beziehungen zwischen Juden und Bürgern im kleinpolnischen Tarnów ein und Feliks Kiryk (Krakau) beleuchtete in einem Kommunikat das Zusammenleben von Juden und armenischem Bürgertum in Kamieniec Podolski, nahe der Grenze zum Osmanischen Reich.

Einen weiteren thematischen Schwerpunkt der Tagung bildete die Stellung der Frau in der bürgerlichen und jüdischen Gesellschaft der polnisch-litauischen Adelsrepublik. Cezary Kuklo (Bialystok) gab einen Überblick über bürgerliche Frauen im Gesellschaftsgefüge der altpolnischen Stadt, ihre Bedeutung für das Wirtschaftsleben sowie ihre kulturellen und gesellschaftlichen Initiativen. Hanna Zaremska (Warschau) beschäftigte sich in ihrem Vortrag mit der Persönlichkeit von "Rachela Fischel, einer jüdischen Witwe im mittelalterlichen Krakau". Rachela Fischel gehörte einer der führenden jüdischen Familien in Krakau während der Wende vom 15. zum 16. Jahrhundert an und verfügte über ebenso weitreichende wie enge Kontakte zum Krakauer Bürgertum und zum königlichen Hof. Edward Fram (Beer Sheva) betrachtete die Rolle der Frauen unter dem Blickwinkel der gegenseitigen Wahrnehmung von Christen und Juden. Christen wie Juden verfügten über ein umfangreiches Regelwerk, um die Kontakte zwischen beiden Geschlechtern zu reglementieren. Aufschlussreich dabei sind die Unterschiede in der Wahrnehmung von Frauen im Umgang mit der jeweils eigenen bzw. fremden Gruppe sowie die gleichsam spiegelbildliche Symmetrie in den Vorstellungen der christlichen wie jüdischen Männer, welche diese Regelwerke propagierten.

Zum Abschluss der Tagung wurde anhand von zwei Referaten noch die Rolle der Kirche für die gegenseitigen Beziehungen von Juden und Bürgern beleuchtet. Jan Doktór (Warschau) stellte die Berichte der Missionare des Institutum Judaicum in Halle als Quelle für die Kontakte zwischen Pietisten und Sabbatisten im 18. Jahrhundert vor. Judith Kalik (Jerusalem) fragte nach der Rolle der Kirche im Verhältnis von Juden und Bürgern. Die Kirche erhob Anspruch auf Beeinflussung sämtlicher Lebensbereiche der christlichen Bevölkerung und drängte durchgängig auf eine weitgehende Separation von Christen und Juden. Bei der Betrachtung von Alltagskontakten zeigt sich allerdings auch hier, dass es je nach aktueller Interessenlage immer wieder zu ad-hoc Koalitionen jenseits von Standes- und Bekenntnisgrenzen kam.

Bei der Frage nach Perspektiven für die weitere Forschung ließ sich feststellen, dass gerade in der Erforschung sozial- und wirtschaftsgeschichtlicher Fragen in den letzten Jahren große Fortschritte in Richtung einer integrierten Betrachtung von "bürgerlicher" und "jüdischer" Geschichte gemacht werden konnten. Für die Untersuchung von Fragen der gegenseitigen Wahrnehmung wurden auf der Konferenz Ansätze vorgestellt, wie man sich dem Problem auf der Basis sehr unterschiedlicher Quellen nähern kann, ohne einerseits althergebrachte, aus kirchlicher und bürgerlicher polemischer Literatur tradierte Vorurteile zu übernehmen, oder andererseits auf der Suche nach "concivilitas" das auf beiden Seiten vorhandene Bedürfnis nach kultureller Abgrenzung zu übersehen. Dies zeigte sich ebenfalls deutlich in den Beiträgen, welche der Rolle der Frau in beiden Gesellschaften gewidmet waren. Gerade in den gesellschaftlichen Eliten beider Gruppen konnten Frauen tradierte Rollenmodelle häufig überwinden und in der "Männergesellschaft" großen Einfluss und Achtung erringen, doch waren sie immer auch in ihre jeweiligen kulturellen Kontexte eingebunden. Es bleibt eine Aufgabe für künftige Forschungen, "Ausnahme-" und "Regelverhalten" auf breiterer Grundlage gegeneinander abzuwägen; dies wird dann auch wesentliche Impulse für das Bild der männlichen Hälfte der Gesellschaft bringen.

Lediglich angerissen werden konnten Fragen einer vergleichenden Strukturgeschichte der bürgerlichen wie der jüdischen Gesellschaft. Die hier vorgestellten Referate gingen auf Entwicklungen innerhalb der jüdischen Gesellschaft ein und sind als ein Angebot zu verstehen, Gesellschaftsentwicklung nicht allein im historischen Längsschnitt, sondern auch vergleichend im interkulturellen Querschnitt zu betrachten. Hier ergibt sich eine der wichtigsten Schlussfolgerungen aus der Konferenz: eine vergleichende Betrachtung von Juden und Bürgern in der frühneuzeitlichen Gesellschaft ist immer darauf angewiesen, die hohe Kontaktdichte, wie sie in sozial- und wirtschaftsgeschichtlichen Untersuchungen deutlich wird, mit dem kulturhistorisch ebenso deutlichen Bedürfnis nach Wahrung der Eigenständigkeit beider Gruppen in das richtige Verhältnis zu bringen. Die Konferenz zu Juden und Bürgern in der polnisch-litauischen Adelsrepublik in der Frühen Neuzeit konnte hier noch keine abschließenden Befunde bringen, bot aber allen Beteiligten eine Fülle von Anregungen zu weiteren Forschungen.


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